Papierfabrik JST (Quellen: LVZ und Gemeindesitzungen 2020)
- Ausbau Standort wird durch Strukturwandel notwendig
- Arbeitsbreite von 4,3 Metern der jetzigen Papiermaschine ist ein ungünstiges Maß, es können nur Nischenprodukte produziert werden
- aktuell ist die Auftragslage gut und die Umsätze sind seit 2001 stark gestiegen, auf Dauer reiche dies jedoch nicht aus, um auf dem Weltmarkt bestehen zu können
- Entscheidung, ob überhaupt investiert wird, ist offen
Wir sagen dazu:
Es ist unstrittig, dass Papierprodukte durch ein geändertes Konsumverhalten eine stärkere Nachfrage erfahren. Nicht umsonst hat die Fa. Progroup eine ähnliche Fabrik mit einer Kapazität von ca. 750.000 Tonnen Wellpappe pro Jahr bereits gebaut und 2020 in Betrieb genommen. Ferner befinden sich die Altpapierpreise aber auch im Keller, da China fast kein Altpapier aus Europa mehr abnimmt (Quelle: tagesschau.de). Insofern kommt man an den Rohstoff aktuell sehr günstig ran. Wir verstehen unter Strukturwandel jedoch gesellschaftliche Veränderungen. Konkret bedeutet das, dass wir uns intensiver damit beschäftigen (müssen), wie wir zukünftig leben möchten. In Sachsen steht der Strukturwandel vor der Tür. Durch den demografischen Wandel werden wir mittel- und langfristig kein Problem mit hoher Arbeitslosigkeit haben, wie vielleicht vor 10 oder 15 Jahren noch. Der Anteil der arbeitnehmenden Bevölkerung wird in den nächsten 5 bis 10 Jahren drastisch sinken. Hintergrund sind die Verwerfungen in Ostdeutschland der 90er Jahre und eine niedrige Geburtenrate. Unternehmen spüren jetzt schon den Mangel an Fachkräften, das wird sich von Jahr zu Jahr noch verstärken. In der Oberlausitz ist der Strukturwandel noch stärker ausgeprägt, hinzu kommt aber noch eine höhere Arbeitslosigkeit als in Westsachsen, dafür aber der Zugang zum Arbeitsmarkt in Polen und Tschechien. Dort macht eine Investition viel mehr Sinn, gerade im Namen des Strukturwandels. Schließlich sprach JST von Fördermöglichkeiten, die es durch den Kohleausstieg in der Oberlausitz in Größenordnungen gibt!
Ob die Arbeitsbreite von 4,3 Metern ein ungünstiges Maß ist, können wir schwer beurteilen. Die Mutter-Firma von JST in Düsseldorf informiert jedoch auf ihrer Seite, dass zwei Papiermaschinen mit Arbeitsbreiten von 220 cm und 240 cm zum Einsatz kommen. Die Jahresproduktion wird mit ca. 100.000 Tonnen Papier angegeben. Aktuell beläuft sich die Produktionsmenge in Trebsen auf ca. 270.000 Tonnen pro Jahr. Soll demzufolge auch der Standort in Düsseldorf ausgebaut werden?
Wir empfehlen: optimieren sie ihre Prozesse hier am Standort in Trebsen, nehmen sie mehr Rücksicht auf die Anwohner und verbessern sie ihr aktuelles Verkehrskonzept! Ihre Verantwortung endet nicht an der Grundstücksgrenze!
Bürgermeister und Stadtrat Trebsen (Quellen: Gemeindesitzungen 2020)
- Stadtrat möchte Vorhaben von JST verwirklicht haben
- Stadt erhält Einnahmen über Grundsteuer, Hundesteuer und vor allem Gewerbesteuer
- Gewerbesteuer ist enorm wichtig: 3 Kindertagesstätten, Grundschule, Oberschule, Kulturstätte sowie Straßen und Beleuchtung
- es geht um den Erhalt von Arbeitsplätzen und Schaffung neuer Arbeitsplätze
- Projektvorstellung während einer Einwohnerversammlung im November/Dezember 2020
Wir sagen dazu:
Danke, dass sie die Bürger auf Grundsteuer und Hundesteuer reduzieren! Von jedem Bürger, welcher seinen Hauptwohnsitz in Trebsen hat, gehen 15% von der Einkommensteuer an die Gemeinde – unabhängig davon, ob sein Arbeitsplatz in Trebsen ist oder außerhalb liegt. Konkret sind das im Jahr 2019 ca. 1,2 Millionen Euro. Damit sorgen die Bürger gleichfalls – und verlässlich – für einen hohen und seit 2017 für einen 7 stelligen Betrag pro Jahr. In den Jahren 2012, 2013 und 2019 lagen die Einnahmen durch den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer sogar höher als die durch Gewerbesteuern.
Die Argumente „Gewerbesteuer“ und „Arbeitsplätze“ zogen in den 90er Jahren bei Entscheidungen – im Ergebnis wurde z.B. das große Gewerbegebiet in Pauschwitz auf der grünen Wiese gebaut, 30 Jahre nach der Wende hat sich das Blatt jedoch gewendet. Die Bevölkerung in Trebsen nimmt kontinuierlich ab und wird älter. Seit 1990 hat die Stadt ca. 17% ihrer Einwohner verloren. Gründe hierfür: Weggang aus wirtschaftlichen Gründen und niedrige Geburtenrate. Dieser Trend hält an! Nur, weil ggf. hier am Standort keine neue Fabrik gebaut werden wird, bedeutet das nicht gleich, dass die Firma schließen muss. Neue Arbeitsplätze, welche entstehen, werden aller Wahrscheinlichkeit nach nicht durch Bürger aus Trebsen besetzt werden können sondern pendeln, falls überhaupt ausreichend Arbeitskräfte gefunden werden, aus anderen Regionen nach Trebsen. Hierdurch wird gleichfalls das Verkehrsaufkommen auf der B107 und in Pauschwitz steigen.
Was aber haben wir nach über 120 jähriger Papiergeschichte in Pauschwitz und 30 Jahre nach der Wende in unserer Umgebung erreicht? Die Kernfabrik von Wiede steht leer oder ist ein Schutthaufen, die Klärteiche in Wednig und auf Neichener Seite mit umweltgefährdeten Stoffen belasteten Böden existieren noch – man könnte auch sagen, man lässt Gras über die Sache wachsen, ein Industriegebiet wurde auf der grünen Wiese gebaut, seit 2013 steht ein „modernes“ Kohlenstaubkraftwerk vor der Nase der Anwohner und vor wenigen Jahren wurde der Gleisanschluss zur Papierfabrik zurückgebaut. Wie würde es nach der Mega-Fabrik weitergehen? Ist dann die Siedlung nicht eher im Weg für weitere Expansionspläne? Reden wir jetzt schon oder erst dann über Enteignung? Kommt dann die Giga-Fabrik?
Eine Einwohnerversammlung hat es 2020 nicht gegeben, bedingt durch Corona. Die Bürger wurden darüber in Unkenntnis gelassen, ob überhaupt und wann diese stattfinden wird. Die Stadtratssitzung am 15. Dezember 2020 mit dem einstimmigen Beschluss zum Tagesordnungspunkt „Beratung und Beschlussfassung zum Vorentwurf … Verkehrsentlastungsfläche“ fand allerdings statt. Weder konnten wir eine Beratung wahrnehmen noch durften die zahlreich anwesenden Bürger Fragen vorbringen. Hier hatte der Bürgermeister am Anfang erklärt, dass der Tagesordnungspunkt „Bürgerfragen“ gestrichen wird, um das Infektionsrisiko zu senken. Dafür folgte ein ca. halbstündiger Monolog, in welchem der Bürgermeister darlegte, warum er und der Stadtrat das Projekt von JST verwirklicht haben möchte. Eine Lehrstunde der Demokratie!
Detaillierte Informationen zu Steuern und der Bevölkerungsentwicklung unserer Stadt finden sie hier: Unsere Stadt in Zahlen
Informationen zur Industriegeschichte und „spannende“, aber nicht realisierte Projekte in Pauschwitz und Wednig finden sie hier: Industriestandort